Schwierige Zeiten: Erst Corona, jetzt sinkende Spenden und steigende Kosten (Hanauer Anzeiger)

Hanau – Einrichtungen wie das Hanauer Hospiz haben es in diesen Wochen und Monaten alles andere als einfach. Nicht nur die sinkende Spendenbereitschaft macht ihnen zu schaffen. Wir waren vor Ort.

Es klingelt an der Tür des Hospiz Louise de Marillac. „Guten Tag“, sagt der groß gewachsene Mann mit der Brille, „ich würde gern eine Spende abgeben.“ Jeanette Marquardt dankt herzlich und bittet ihn und seine Begleitung ins „Wohnzimmer“, jenen Raum unweit des Empfangs, in dem man zusammensitzen kann, eine Couch, zwei Sessel, rechts und links eingerahmt von Bücherregalen.

Der Mann will kein großes Brimborium. Ihm sei es eine Herzensangelegenheit gewesen, sich zum Betriebsjubiläum eben keinen Gutschein zu wünschen, sondern Geld fürs Hospiz. „Ich kann nächstes Jahr auch hier sein, Hilfe in Anspruch nehmen müssen“, sagt er und legt den Umschlag auf den kleinen Tisch vor Jeanette Marquardt. 500 Euro haben seine Kolleginnen und Kollegen für ihn gesammelt.

Das Hospiz Louise de Marillac in Hanau wurde 2003 eröffnet. Im kommenden Jahr feiert die Einrichtung ihr 20-jähriges Bestehen

Die Einrichtungsleiterin weiß, dass gerade jetzt jeder noch so kleine Betrag hilft und dass Spenden, die einfach so durch die Tür kommen, alles andere als alltäglich sind. „Wobei“, Marquardt lächelt, „ein Mann kommt seit fünf Jahren einmal pro Monat und gibt 20 Euro ab.“

Viele große Firmen, auch aus Hanau, haben sie freundlich abblitzen lassen in den vergangenen Wochen und Monaten. Kein Geld. Kein Interesse. Andere Projekte, die unterstützt werden. Manche haben sich noch nicht einmal zurückgemeldet auf ihre Anfrage per Mail. „Um so wertvoller und schöner ist diese Spende hier“, sagt sie und hebt den weißen Umschlag nach oben.

Lichtdurchflutet ist die Küche, wo gekocht, gebacken und gemeinsam gegessen wird. Im kleinen Bild das Namensbuch in der Kapelle

Seit zwei Jahren leitet Jeanette Marquardt die vollstationäre Einrichtung in unmittelbarer Nähe zum St.-Vinzenz-Krankenhaus. Zuvor war sie in der zweiten Reihe. Hat gepflegt. Das tut sie auch heute noch, wenn Kollegen plötzlich erkranken. Marquardt ist gebürtige Berlinerin, seit 2008 ist sie Teil des Hospiz-Teams und mittlerweile mit ihrer Familie in Maintal zuhause.

Ein Blick ins Hospiz

Acht Einzelzimmer gibt es hier. An den Türen stehen die Namen der Gäste. „Wir begleiten die Menschen auf ihrem letzten Lebensweg“, erzählt die Leiterin. Manche seien nur ein paar Stunden oder Tage da, andere Monate. Zum Team gehören 15 Pflegefachkräfte, die im Drei-Schicht-System arbeiten, Mitarbeiter in der Hauswirtschaft und Ehrenamtliche, vielfach ältere Damen, die dem Hospiz nach einem persönlichen Kontakt – etwa, weil ein Angehöriger hier gestorben ist – als Helferinnen erhalten geblieben sind. Ein- bis zweimal die Woche leisten sie wertvolle Arbeit; sitzen am Bett der Gäste, übernehmen Telefondienst oder helfen bei der Essensausgabe. Eine Musik- und eine Ergotherapeutin kommen einmal pro Woche ins Hospiz, genau wie eine Psycho-Onkologin, die Gäste wie Familien begleitet in dieser schwierigen Lebensphase.

„Manch einer war vor sechs Wochen noch auf dem Hanauer Wochenmarkt einkaufen und liegt heute bei uns in einem Bett. Das ist eine absolute Ausnahmesituation, in der man natürlich Unterstützung benötigt“, so Marquardt. Übrigens auch das Team, wenn es junge Gäste begleitet, so wie erst neulich eine 41-jährige Frau. „Dann brauchen auch wir Hilfe.“

Starben früher drei Menschen pro Monat im Hospiz, sind es heute 15, 16, manchmal 17. „Die Krankheitsverläufe haben sich geändert, sind schneller und aggressiver geworden“, hat Marquardt beobachtet. Und die Warteliste für einen Platz ist lang. Aktuell seien 15 Namen darauf vermerkt, so die Einrichtungsleiterin. Hatte erst Corona ihr und dem Team zugesetzt und zudem zu einem massiven Einbruch der Spenden geführt, sind es jetzt die aktuellen Krisen, die ihr Sorgen machen. 95 Prozent der Kosten für einen Platz werden von den Kranken- und Pflegeversicherungen übernommen, fünf Prozent müssen durch Spenden aufgebracht werden. Was nach wenig klingt, beläuft sich in Summe auf rund 70 000 Euro pro Jahr, die akquiriert werden müssen.

Hessenweit, sagt Marquardt, gehe es allen Hospizen gleich. „Es gibt Spenden, aber deutlich weniger.“ Firmen, die früher 1000 oder 2000 Euro gegeben haben, spenden heute 200 Euro. Marquardt: „Viele sagen: ‘Wir müssen selber schauen, wie wir über die Runden kommen’ und das kann ich ja auch verstehen.“

Staatliche Zuschüsse gibt es keine für die Einrichtung, auch nicht von Stadt oder Kreis. Und so bleibt nur Eigeninitiative. Mailings, Telefonate, mal ein Flohmarkt, mal ein Benefizkonzert. Zeitaufwendig sei das geworden und sehr anstrengend. Und jetzt noch die steigenden Kosten für Lebensmittel und Energie. Viele Gäste brauchen nachts Licht, weil sie Angst haben, sie brauchen Wärme, aber eben auch frische Luft. Sparen lässt sich da schlecht.

Und die Konsequenz aus alldem? „Wir müssten ein Bett reduzieren“, sagt Marquardt leise. Bisher haben sie nur in Corona einmal vier Betten sperren müssen für ein paar Wochen, alles andere gehe irgendwie: unbesetzte Stellen, fehlende Fachkräfte. „Wir suchen, aber ist es unheimlich schwer, Personal zu finden“, sagt die Maintalerin. Die letzte neue Kollegin kam im April: Christine Kaprolat. Die Mühlheimern hat im Sankt Katharinen-Krankenhaus in Frankfurt gelernt. Nach 14 Jahren auf der Neurochirurgie im Krankenhaus Offenbach sei sie ins Hospiz gewechselt, bereue bisher keinen einzigen Tag. „Hier hat man Zeit, Ruhe. Es ist ganz anders als im Krankenhaus“, sagt die 39-Jährige. Sie sei ein ruhiger Mensch, empathisch – Charaktereigenschaften, ohne die es im Hospiz nicht geht, wo der eine Tag so und der andere so ist.

Gestern habe sie mit einer der älteren Damen herzhaft gelacht, manchmal teile sie Sorgen oder trockne Tränen. „Neulich hat sich ein Mann mitten in der Nacht Kartoffelsuppe gewünscht“, erzählt sie, „ich habe sie ihm gekocht und er hat sich so über die paar Löffel gefreut.“

Auf dem Weg durch die Einrichtung ist es still, aber hell und freundlich. In der Küche steht ein langer Tisch. „Manchmal isst ein Gast hier“, erzählt Christine Kaprolat. Am Ende des Gangs befindet sich eine kleine Kapelle. In einem Buch sind die Namen der Verstorbenen unter dem jeweiligen Sterbetag vermerkt. Auf manchen der 365 Seiten stehen viele Namen, auf einer Seite kein einziger. Seit 2003 ist noch niemand am 24. Dezember gestorben.

Benefizkonzert und Welthospiztag

Der Welt Hospiz- und Palliative Care-Tag ist ein internationaler Gedenk- und Aktionstag, welcher jährlich am zweiten Samstag im Oktober begangen wird. Der Welthospiztag wurde 2005 erstmals durch die Worldwide Hospice Palliative Care Alliance initiiert. Der Welthospiztag soll die Aufmerksamkeit für hospizliche und palliative Belange auf internationaler Ebene erhöhen. Das Hanauer Hospiz wird am 8. Oktober mit einem Infostand in der Innenstadt präsent sein.

Am Sonntag, 9. Oktober, um 16.30 Uhr findet in der evangelischen Kirche in Maintal-Hochstadt ein Benefizkonzert zugunsten des Hanauer Hospizes statt. Es musizieren Künstler aus der Region Fulda. Der Eintritt ist frei. Um Spenden wird gebeten.

Das Hospiz Louise de Marillac wurde 2003 eröffnet und ist eine Einrichtung der St. Vinzenz Soziale Werke gGmbH in Fulda. 2023 feiert das Hospiz sein 20-jähriges Bestehen, auch dann soll es ein Konzert geben. Das Haus befindet sich an der Nussallee 30 in Hanau, in unmittelbarer Nähe des St. Vinzenz-Krankenhauses. Sie erreichen die Mitarbeiter unter z 06181 507050 oder per E-Mail an hospiz@sozialwerke.de. Spendenkonto des Hospizes: DE42530501800000076955

Quelle: Hanauer Anzeiger vom 24.09.2022
Redaktion: Yvonne Backhaus-Arnold
Fotos: ©Patrick Scheiber

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