Der gutherzige Herr Böhm

Hanau – Es ist eine Ausnahme. Für das Gespräch mit unserer Zeitung hat Karl Böhm seinen Besuch auf den 2. Mai verschoben. Eigentlich wäre er am ersten Tag des neuen Monats gekommen. So ist es Tradition – seit 2008. Vielleicht auch schon länger. Ganz genau weiß das niemand mehr im Hospiz Louise de Marillac in Hanau. Was Jeanette Marquardt und ihr Team indes wissen, ist, dass der 68-Jährige ein Spender der ganz besonderen Art ist.

Immer zum Monatsbeginn klingelt Böhm an der Tür der Einrichtung und gibt einen Umschlag mit 20 Euro ab. „Die Mitarbeiter machen einen Riesenjob“, sagt der Mann mit Brille und Kapuzenjacke bei einem Kaffee im sogenannten Wohnzimmer des Hospizes. Eine Couch steht hier, zwei Sessel, ein Tisch, rechts und links Bücherregale. Böhm rührt in seiner Tasse: „Da gehe ich lieber einmal weniger zum Essen und trage das Geld hierher“, sagt er.


Böhm ist Hanauer, Vater von sechs Kindern und sieben Enkeln. Gearbeitet hat er in der chemischen Industrie. Seine Frau und er wohnen nur fünf Minuten entfernt. Sie hatte bis zum Beginn des Ruhestands einen Friseurladen unweit des Hospizes, in dem schwerst kranke Menschen die letzten Tage und Wochen ihres Lebens verbringen. „Wir sind immer hier vorbeigelaufen, dachten, es sei ein Kinderhospiz.“ Dass es das nicht ist, hat Böhm nicht gehindert, irgendwann einmal zu klingeln und die ersten 20 Euro abzugeben. 15 Jahre ist das jetzt her.


Längst kennt er sie alle; die katholischen Schwestern von früher, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Ehrenamtler. Den „Herrn Böhm“ nennen sie ihn hier liebevoll. Manchmal bleibt er noch für eine Tasse Kaffee in der Küche. Dass es hier dann auch Begegnungen mit den Gästen gibt, einen kurzen Plausch, ein gemeinsames Lachen, berührt und bewegt den 68-Jährigen immer wieder aufs Neue. „Ich könnte hier nicht arbeiten“, sagt er. Das Spenden sei sein Weg, das Hospiz und damit eine Einrichtung direkt vor Ort zu unterstützen. Neben dem Geld hat Böhm fürs Team Kräppel an Fastnacht dabei, Eier an Ostern und Plätzchen im Advent.


„Ich finde es wertvoll und einfach nur toll, dass es Menschen wie ihn gibt“, sagt Jeanette Marquardt und lächelt. Ab und an holt die Einrichtungsleiterin Umschläge aus dem Briefkasten. Mal verstecken sich darin 50 Euro, mal zehn Euro. Andere bringen nach einer Trauerfeier eine Barspende für das Hospiz, die eingezahlt wird.


Klar ist: Jeder Euro hilft, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Zwar werden 95 Prozent der Kosten für einen Platz – insgesamt gibt es acht – von den Kranken- und Pflegeversicherungen übernommen, fünf Prozent müssen jedoch durch Spenden aufgebracht werden. Was nach wenig klingt, beläuft sich in Summe auf rund 70 000 Euro pro Jahr, die akquiriert werden müssen. Seit Corona ist die finanzielle Lage angespannt. „Ich denke, dass es herausfordernd bleibt“, sagt Marquardt mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Situation. Da sind kreative Ideen und Aktionen genauso gefragt wie das Engagement von Menschen wie Karl Böhm. „Es könnten ruhig mehr Leute spenden“, sagt er und schmunzelt.
Am Samstag, 6. Mai, feiert das Hospiz seinen interaktiven Gottesdienst zum 20-jährigen Jubiläum. Die öffentliche Veranstaltung, die einen Rückblick, aber auch einen Ausblick geben soll, beginnt um 14 Uhr in der Kirche Mariae Namen an der Bangertstraße. Im Anschluss findet ein Beisammensein im Pfarrhaus statt. Zudem gibt es danach die Möglichkeit, sich das Hospiz anzuschauen.


Karl Böhm und seine Frau haben sich den Jubiläumsgottesdienst schon im Kalender vorgemerkt. „Wir kommen auf jeden Fall mal vorbei“, sagt der 68-Jährige, der eigentlich nicht in die Zeitung wollte. Am Ende hat er doch zugesagt, dem Hospiz zuliebe, dem er auf so besondere Weise verbunden ist. Und im Juni kommt er wieder am 1. – Ehrensache!

Quelle: Hanauer Anzeiger vom 04.05.2023

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